Genormte Tests bei der Matura?

ilsole.jpg Hohe Wellen schlug in der letzten Woche ein Leitartikel im Wirtschaftsblatt "Il sole 24 ore". Andrea Ichino, einer der renommiertesten italienischen Wirtschaftsprofessoren, nahm dabei die derzeitige Form der Maturaprüfung kritisch unter die Lupe. "Auf diese Weise bringt die Matura nichts", sagt Ichino.
 
Hier der Leitartikel des  48-jährigen Wirtschaftsexperten, Schüler von Mario Monti, der an der Uni Bologna lehrt.

Die Matura ist vorbei, die grundlegenden Fragen zur Problematik der Abschlussprüfung bleiben aber alle unbeantwortet. Und diese Fragen betreffen nicht etwa die fehlerhaften Themenstellungen, die bei den schriftlichen Arbeiten für so viele Schlagzeilen gesorgt haben.

Unter den Ländern mit einem fortgeschrittenen öffentlichen Schulwesen ist Italien vielleicht das einzige Land, in dem die von der Oberschule zur Universität führende Abschlussprüfung nicht für alle Studenten zentral und gleichförmig ausgewertet wird.

In England absolviert ein Schüler in seiner Laufbahn gleich vier standardisierte Tests, die zentral ausgewertet werden: mit 7, 11, 14 und 16 Jahren.

In Italien geschieht dies nie - nicht einmal bei der Matura. Obwohl Teile der schriftlichen Arbeiten in ganz Italien gleich sind, wird die staatliche Abschlussprüfung von lokalen Prüfungskommissionen durchgeführt. Die Anwesenheit externer Kommissare kann dabei keine Garantie für eine Gleichförmigkeit der Bewertung sein.

Es ist eine seltsame Art der Bewertung am Ende der Laufbahn eines Schülers. Der Unterricht, den die Studenten genossen haben, mag auch für alle gleich gewesen sein, die Bewertung ist aber alles andere als gleichförmig. Und dies hat zwei große negative Aspekte zur Folge.

Zum Ersten ist zu sagen, dass die von den Absolventen erreichten Punktezahlen absolut unbrauchbar sind, um Studenten verschiedener Klassen und Schulen zu vergleichen. Wir können bestimmt nicht behaupten, dass ein mit 95 Punkten bewerteter Student im Lyzeum A besser war als ein mit 90 Punkten bewerteter Schüler im Lyzeum B. Die Professoren, die für diese Bewertungen zuständig waren, haben zum Teil unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe angewandt. Zudem sind Teile der Prüfung überall verschieden.

Es erstaunt in diesem Zusammenhang nicht, dass die beim PISA-Test weit hinten liegenden Studenten aus Süditalien bei der Matura besser abschneiden als die Studenten aus dem Nordosten, die einzigen in Italien, die in der PISA-Studie mit den Studenten aus Mitteleuropa Schritt halten können. Die statistische Auswertung der Matura 2008 erbrachte einen Rekordwert an positiv bestandenen Prüfungen in Kalabrien und eine Rekord-Durchfallquote im Veneto und Friaul.

Derzeit ist es so, dass die unfähigsten Lehrer ihre Schwächen hinter großzügig geschenkten Schulnoten zu verbergen versuchen. Fähige Lehrer fühlen sich dementsprechend genötigt, höhere Noten zu geben, um die eigenen Schüler nicht zu benachteiligen - gegenüber jenen, die es leichter haben.

Es verwundert also nicht, dass die Punktezahlen überall hoch sind, die Durchfallquoten dagegen verschwindend klein (2 % bei den Mädchen, 3 % bei den Buben).

Die Matura ist letztendlich eine Staatsprüfung. Bei der Vergabe der Maturadiplome geht man aber fast so vor, als ob der Staat Geldscheine ausgeben, für die darauf aufscheinenden Zahlen aber nicht garantieren würde. Es ist so, als ob die auf den Geldscheinen aufgedruckten Zahlen nicht vergleichbar wären.

Während etwa die Universitäten in England, Spanien oder Israel die Maturaergebnisse dazu verwenden, um sich die Studenten für ihre Laureatsstudien auszuwählen, benötigt man in Italien hierfür teure Einstiegstests. Es ist ja offenkundig, dass die Maturapunkte wenig Informationsgehalt bieten.

Der zweite große negative Aspekt ist jener, dass der Staat mit der derzeitigen Art und Weise der Durchführung der Matura auf wertvolle Daten verzichtet. Mit diesen Daten könnte man etwa Schulen und auch Lehrer bewerten.

Wären zum Beispiel die Mittelschul- und Maturaprüfung standardisiert, könnte man zentral abfragen, ob die Schüler bestimmten Anforderungen in den einzelnen Fächern genügen. Von jedem Studenten ließe sich die Position in einer gesamtstaatlichen Rangliste bei der Mittelschul- und Maturaprüfung ermitteln.

Anhand der Maturaergebnisse wäre es auch möglich, eine Bewertung der Oberschullehrer vorzunehmen - ausgehend natürlich von den Mittelschulleistungen der jeweiligen Schüler. Die Lehrer könnten also nicht nur für das Leistungsniveau ihrer Schüler bewertet werden, sondern auch (und vor allem) aufgrund der erzielten Fortschritte ihrer Schüler.

Auf diese Weise wäre es auch möglich, Lehrer, die in Schulen mit weniger leistungsfähigen Schülern arbeiten, zusätzlich zu belohnen.

In England werden die Ergebnisse der standardisierten Tests der einzelnen Schulen (und auch der Lehrer) veröffentlicht. Die Familien können sich damit ein Bild über die Situation in den einzelnen Instituten machen und die ideale Schule für ihre Kinder auswählen. Die schlechtesten Schulen riskieren sogar die Schließung.

Im Vergleich zu Italien haben die Direktoren und Lehrpersonen in England eine ungleich größere Eigenständigkeit. Sie können entscheiden, welche Inhalte auf welche Weise unterrichtet werden, sie können sich die Strukturen aussuchen und das Personal. Nur bei Erteilung eines bestimmten Grades von Autonomie ist es sinnvoll, Schulen und Lehrpersonal zu bewerten.

Man könnte nun sagen, dass eine zentrale Korrektur von tausenden Arbeiten sicher nicht von einem einzigen Korrektor durchgeführt werden kann und es deshalb auf alle Fälle unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe gäbe.

In der Tat gibt es in den Ländern, die zentral auswerten, einen großen Verwaltungsapparat, der die Arbeiten auf bestmögliche Weise gleichförmig bewertet. Leicht unterschiedliche Maßstäbe kann man natürlich nie ausschließen. Diese Prüfungskommissionen sind jedenfalls bestimmt unabhängiger als die lokalen Prüfungskommissionen mit den eigenen Lehrern der Schüler. Man hätte auf alle Fälle eine größere Garantie für eine unabhängige, gleichförmige Bewertung.

Eine noch bessere Lösung wären multiple-choice-Tests, die elektronisch, schnell und kostengünstig ausgewertet werden können. Diese Tests setzen sich in Italien nur langsam durch, vor allem weil sie noch nicht so geläufig sind und oft auch auf schlechte Weise durchgeführt werden.

Die Erfahrungen aus den USA zeigen aber, dass diese Tests ein wirkungsvolles Mittel sind, um die Fähigkeiten und Fortschritte der Schüler in vielen Wissensgebieten abzufragen.

Sollte Unterrichtsministerin Mariastella Gelmini diesen Vorschlag aufgreifen, könnte sie schon im Juni 2009 auf Versuchsbasis eine zusätzliche, auf gesamtstaatlicher Ebene durchgeführte Prüfung einbauen, sowohl am Ende der Mittel- als auch der Oberschule.

Es würde sicher einige Zeit dauern, bis diese Prüfung ausgereift wäre, um dann auch eine Grundlage zur Bewertung der Schulen und Lehrer zu bilden. Es muss zuvor natürlich den Schulen eine weitreichende autonome Befugnis gegeben werden.

Es wäre aber auf Anhieb schon äußerst interessant, die Ergebnisse dieses neuen Tests mit den Ergebnissen der althergebrachten und lokal bewerteten Arbeiten zu vergleichen.



 

Mariastella Gelminis Antwort folgte prompt: Schon am nächsten Tag antwortete sie Ichino im "Sole" und wies dabei auf den heuer erstmals durchgeführten, genormten Test in der Mittelschule hin. Weitere Schritte werden folgen..., so die Ministerin.
 
 

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